In meinen Coachings mit Führungskräften taucht ein Thema immer wieder auf, besonders in Zeiten von Krisen oder hoher Unsicherheit: das sogenannte „Hero-Syndrom“. Was nach einem ehrenwerten Ziel klingt – die Welt retten, alles unter Kontrolle haben, für das Team der Fels in der Brandung sein – entpuppt sich oft als gefährliche Selbstüberforderung. Führungskräfte geraten dabei in eine Falle: Sie glauben, dass nur sie in der Lage sind, jede Herausforderung zu bewältigen, und dass ihre Organisation ohne ihre ständige Präsenz scheitern würde.
Das betrifft zwar häufig Führungskräfte, ist aber keineswegs auf sie beschränkt. Auch Freiberufler, Eltern oder Menschen im kreativen Umfeld sind oft davon betroffen. Das zugrunde liegende Muster ist stets dasselbe: Der Versuch, alles selbst zu machen, führt nicht nur zu Erschöpfung, sondern auch zu Isolation und Frustration. Die Betroffenen fühlen sich zunehmend überfordert, ohne eine Lösung zu sehen.
Die Dynamik des Hero-Syndroms
Wer das Hero-Syndrom entwickelt, fühlt den ständigen Druck, unentbehrlich zu sein. Die Annahme, dass niemand außer einem selbst die Verantwortung tragen kann, ist eine starke treibende Kraft. Dieser Gedanke führt zu einer Übernahme von immer mehr Aufgaben und einer wachsenden inneren Anspannung. Betroffene sagen oft Dinge wie: „Wenn ich das nicht selbst mache, geht alles schief.“ Oder: „Ich kann das am besten und schnellsten gleich selbst erledigen.”
Das führt zu einem Teufelskreis: Je mehr Verantwortung Sie übernehmen, desto mehr glauben Sie, dass nur Sie alleine in der Lage sind, alles zu bewältigen. Das gilt nicht nur für Führungskräfte, sondern auch für viele andere Menschen. Eltern, die denken, dass nur sie die richtige Erziehung bieten können, oder kreative Profis, die jedes Detail selbst perfektionieren müssen, kennen dieses Gefühl ebenfalls. Der innere Druck wächst, und mit ihm die Gefahr von Burnout.
Forscher haben festgestellt, dass Menschen, die stark zur Überarbeitung neigen und zu wenig delegieren, auch häufiger gesundheitliche Probleme entwickeln. Interessanterweise zeigt sich, dass der Grad der Eigenverantwortung und des Kontrollbedürfnisses in direktem Zusammenhang mit körperlichem und emotionalem Stress steht.
Der Mythos vom unfehlbaren Helden
Das Hero-Syndrom entspringt oft einem tief verwurzelten Glauben: „Nur wenn ich perfekt bin, kann ich Erfolg haben.“ Dieser Perfektionismus und die Angst vor dem Scheitern treiben Menschen dazu, sich selbst immer höhere Anforderungen zu stellen. Doch niemand kann dauerhaft auf allen Ebenen perfekt sein. Es ist wichtig zu akzeptieren, dass Fehler und Grenzen menschlich sind – das zu erkennen, fällt jedoch vielen schwer.
Es ist ein Mythos, dass Menschen, die ständig alles alleine lösen, erfolgreicher oder besser sind. Tatsächlich führt das alles vielmehr langfristig zu Burnout, emotionaler Erschöpfung und geringerer Leistungsfähigkeit. Gute Führung und auch Selbstführung zeigt sich nicht darin, alles allein zu machen, sondern darin, kluge Entscheidungen zu treffen – und dazu gehört oft auch, andere um Hilfe zu bitten.
Wie Sie das Hero-Syndrom überwinden
Reflektieren Sie Ihre Grenzen: Der erste Schritt, um dem Hero-Syndrom zu entkommen, besteht darin, sich der eigenen Grenzen bewusst zu werden. Niemand kann alles alleine bewältigen. Fragen Sie sich: Was passiert, wenn ich diese Aufgabe nicht selbst mache?
Delegieren Sie klug: Egal ob im Beruf, in kreativen Projekten oder im Privatleben – lernen Sie, Aufgaben zu delegieren. Es ist keine Schwäche, sondern ein Zeichen von Stärke und Vertrauen, wenn Sie andere in die Verantwortung einbeziehen.
Praktizieren Sie Selbstmitgefühl: Seien Sie nachsichtig mit sich selbst. Niemand erwartet von Ihnen, immer perfekt zu sein. Erlauben Sie sich Pausen und vergeben Sie sich, wenn nicht alles reibungslos läuft. Selbstmitgefühl stärkt Ihre Resilienz und sorgt langfristig dafür, dass Sie leistungsfähig bleiben.
Vertrauen Sie anderen: Ob Führungskraft, Mitarbeiter, Freiberufler oder Elternteil – Vertrauen ist der Schlüssel, um das Hero-Syndrom zu überwinden. Lernen Sie, anderen zu vertrauen und darauf zu setzen, dass Aufgaben auch dann gut gelöst werden, wenn Sie nicht alles selbst machen.
Das Hero-Syndrom wirkt anfangs vielleicht wie eine Stärke , doch der wahre Erfolg liegt in der Fähigkeit, loszulassen, zu vertrauen und Verantwortung zu teilen. Wer lernt, klug zu delegieren und sich selbst Pausen zu erlauben, schafft Raum für neue Ideen und eine nachhaltige Balance im Leben. Denn wahre Stärke liegt nicht darin, alles allein zu bewältigen, sondern darin, die eigenen Grenzen zu erkennen und Unterstützung anzunehmen.