Ich liebe meine Arbeit deswegen so sehr, weil ich selbst bei jedem Projekt und mit jedem Workshop so viel dazu lerne – wie letzte Woche. Bei einer Kundenbefragung ging es darum herauszufinden, aus welchen Motiven heraus Menschen große Veränderungen in ihrem Leben vornehmen, wie in eine andere Stadt zu ziehen, den Beruf zu wechseln oder sich von jemanden zu trennen. Wie sich in den Gesprächen schnell zeigte, waren die meisten dieser Umbrüche getrieben von dem Wunsch, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und eine vielversprechendere Zukunft anzuvisieren. Ein verständlicher Wunsch, der allerdings selten erfolgreich ist.
Die Vergangenheit hinter sich zu lassen und eine bessere Zukunft aufzubauen, ist schnell gesagt, aber sehr schwierig umzusetzen. Wenn Sie selbst bereits einmal den Versuch unternommen haben, Ihrer Vergangenheit zu entfliehen, haben Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die Erfahrung gemacht, dass eben diese als blinder Passagier auf den Weg in die Zukunft mitgereist ist. Erinnerungen sind das Erste, was wir auspacken, kaum sind wir woanders angekommen.
Menschen sind Zeitreisende. Wir können uns problemlos die Zukunft vorstellen und Vorhersagen treffen, allerdings mit einer Tücke: Die Erinnerungen, die wir in die Zukunft projizieren ähnelt erstaunlich dem, was wir in der Vergangenheit bereits erlebt haben. Vergangene Ereignisse sind die Basis unserer Vorhersagen und liefern uns auf diese Weise Entscheidungsgrundlagen, was wir tun und was wir lieber sein lassen sollten.
Wir blicken auf vergangene Tage zurück, um herauszufinden, wer wir sind und warum wir genau das tun, was wir jetzt tun. Die Forschung zeigt, dass wir bei Erinnerungen einen Prozess der ständigen Wiederverbindung und Rekonstruktion anstoßen. Jedes Mal, wenn wir die Vergangenheit heraufbeschwören, fügt ein Teil des Parietallappens in unserem Gehirn verschiedene, gespeicherte Informationen zusammen, die sich wiederum zu einer Erinnerung zusammensetzen. Vergangene Informationen werden dann an unsere aktuellen Umstände angepasst, was dazu führt, dass wir dadurch auch unsere Erinnerung verändern.
Unsere Erinnerungen sind aber nicht falsch oder ungenau. Vielmehr sind sie aus Details zusammengesetzt, die sich jedes Mal ändern, wenn wir durch neue Umstände eine weitere Erinnerung entfernen oder hinzufügen. Daher erinnern sich Menschen oft anders bzw. an verschiedene Aspekte desselben Ereignisses. Deswegen sagt Ihr Partner, dass sich Onkel Hermann beim letzten Weihnachtsessen unmöglich und sehr peinlich benommen hat, während Sie, ein absoluter Onkel-Hermann-Fan, sich nur an einen lustigen Abend mit ihm erinnern können.
Die Details, die wir über vergangene Ereignisse abrufen, entsprechen aktuellen Forschungen nach vor allem unseren aktuellen emotionalen Zustand. Wenn wir ängstlich sind, erinnern wir uns viel detaillierter an spezifische Dinge, die Quellen von Bedrohungen in unserer Vergangenheit dargestellt haben. Wenn wir hingegen glücklich sind, sind unsere Erinnerungen viel allgemeiner. Keine dieser Erinnerungen ist aber per se falsch – sie basieren nur auf unterschiedlichen Rekonstruktionen, die wiederum von unseren aktuellen Emotionen beeinflusst werden.
Dazu kommt, dass wir Dinge, die einmal passiert sind, einfach nicht ändern können. Was wir aber sehr wohl ändern können, ist unsere Wahrnehmung auf diese Erinnerungen. Geschichten neu zu schreiben, sorgt dafür, dass wir die Vergangenheit als weniger belastend wahrnehmen und dadurch die Reise durch die Gegenwart ein wenig leichter wird. Hier meine drei Lieblingstipps dazu:
1. Sammeln Sie viele positive Erinnerungen
Wenn Forschungen nach schlechte Erinnerungen zu schlechten Gefühlen und vice versa führen, lautet der Folgeschluss, dass Sie mit positiven Erinnerungen diesen Teufelskreis durchbrechen können. Sammeln Sie daher viele schöne und positive Erinnerungen aus der Vergangenheit, die Sie sich, wenn Sie sich traurig oder einsam fühlen, ins Gedächtnis rufen. Denken Sie vor allem an die Dinge, für die Sie dankbar sind und die Ihr Leben bereichern. Schreiben Sie sich all diese Gedanken auf und lesen Sie sie immer wieder durch. Auf diese Weise können Sie erheblich Ihre Stimmung verbessern - nicht nur, wenn Sie deprimiert sind.
2. Suchen Sie nach einem Sinn
Es existiert einfach kein Leben ohne schmerzhafte Erfahrungen. Schwer zu ertragende Gefühle sind Teil unseres Vertrages mit dem Leben. Versuchen Sie daher auch nicht, Ihre Vergangenheit zu löschen – es würde ohnehin nicht funktionieren. Viele Erfahrungen schützen uns auch davor gewisse Fehler zu wiederholen und helfen uns dadurch beim persönlichen Wachstum. Suchen Sie daher nach einem Sinn oder einer Möglichkeit aus dieser Erfahrung zu lernen. Denken Sie über die schwierigen Erfahrungen nach und überlegen Sie sich, welche positiven Ergebnisse daraus hervorgegangen sein können. Sie werden dadurch die Vergangenheit nicht ändern, aber Ihre Sicht darauf.
3. Praktizieren Sie Selbstmitgefühl
Oftmals neigen wir dazu, uns für vergangene Fehler zu verurteilen und uns selbst Vorwürfe zu machen. Doch Selbstkritik behindert nur den Heilungsprozess. Versuchen Sie stattdessen, sich selbst zu vergeben und sich mit dem gleichen Verständnis zu behandeln, das Sie einem guten Freund entgegenbringen würden. Erkennen Sie, dass es menschlich ist, Fehler zu machen.
Vor der Vergangenheit wegzulaufen, wird nie funktionieren. Aber wir können die Vergangenheit von einem unwillkommenen Gast zu einem Verbündeten machen. Statt also gleich über einen Umzug in eine andere Stadt nachzudenken, überlegen Sie, was Sie überhaupt zu dieser Überlegung bewegt hat. Denken Sie an die schönen Momente, die Sie in Ihrem momentanen Zuhause erlebt haben, und an die Lektionen, die Sie dabei gemacht und die Ihnen neue Perspektiven gebracht haben. Vielleicht entschließen Sie sich am Ende doch zu bleiben. Aber egal, wofür Sie sich entscheiden: Darüber bewusst nachzudenken macht Ihre Vergangenheit zu einem guten und weisen Reisebegleiter.