Das Problem mit Ratschlägen

Als Beraterin gebe ich berufsbedingt ständig Ratschläge und durchdenke gemeinsam mit meinem Kunden verschiedene Möglichkeiten, um passende Lösungen zu erarbeiten. Dieses Vorgehen unterscheiden sich von Ratschlägen, die Menschen im Alltag geben. Denn diese sind häufig ideeller Natur: ”Folge deinem Herzen.” “Steh zu deinen Werten.” “Mach nur das, was dich wirklich glücklich macht.”
Es ist faszinierend und irgendwie paradox zugleich, dass die meisten Ratschläge, die wir im Laufe eines Tages anderen erteilen, sich oft von den Taten unterscheiden, die wir tatsächlich selber tun. Dazu kommt, dass wir zumeist zwar keine Lösung für unsere eigenen Probleme haben, aber es immer irgendwie schaffen, den besten Rat für andere parat zu haben.

Wenn wir jemanden einen Ratschlag mit auf dem Weg geben, senden wir unbewusst die Nachricht mit, dass die andere Person eigentlich gar nicht über die notwendigen Ressourcen verfügt, um das Problem selbst zu lösen. Wir sagen (ohne es auszusprechen): "Du bist unfähig, dein Leben in den Griff zu kriegen.". Dadurch stellen wir uns selbst auf ein Podest und erheben uns zum Richter und Lehrer. Wir tun so, als ob wir das Problem der anderen Person in seiner Gänze verstehen würden - meistens jedoch, ohne uns vorher auch nur annähernd damit zu befassen.

Warum das?

Studien zeigen, dass Menschen unterschiedlich intensiv über bestimmte Situationen nachdenken. So befassen wir uns dann mehr mit einem bestimmten Ereignis, wenn es physisch nahe liegt (im selben Raum), als wenn es weit entfernt ist (in derselben Stadt). Wir befassen uns auch viel mehr mit Situationen, die zeitnah stattfinden (in zwei Stunden), als wenn sie zeitlich weiter entfernt sind (in sechs Monaten).

Eine andere Studie zeigt, dass wir unterschiedlich Ratschläge geben - je nachdem, inwiefern wir direkt betroffen sind. Im Rahmen dieser Studie wurden die Probanden gefragt, ob sie einem frischgebackenen Biologie-Absolventen eher raten würden, seinem Traum, Medizin zu studieren, zu folgen oder ob er oder sie doch lieber eine gut bezahlte Stelle bei einem pharmazeutischen Unternehmen annehmen sollte. Das Ergebnis: Diejenigen, die anderen Personen einen Ratschlag geben sollten, empfahlen in 63% das medizinische Studium, während diejenigen, die für sich selbst entscheiden sollten, nur in 37% der Fälle die medizinische Laufbahn wählten.

Bevor diese Studie durchgeführt wurde, wurden die Probanden in zwei Gruppen eingeteilt. Die eine Gruppe wurde zum abstrakten Denken angeregt, indem sie vier allgemeine Antworten rund um gesunde Ernährung geben sollten. Die andere Gruppe sollte in konkreten Beispielen verschiedene Verhaltensweisen aufschlüsseln. Das Resultat war eindeutig: Je detaillierte über die Abläufe nachgedacht wurde, desto spezifischer haben die Probanden im Folgenden gehandelt und gedacht.

Menschen geben also gerne Ratschläge von ideeller Natur, wenn sie abstrakt denken. Beratungen konzentrieren sich eher auf Handlungsoptionen. Wenn sich Menschen tatsächlich in einer Situation befinden, tendieren sie jedoch dazu, sich auf die Details zu konzentrieren und empfehlen häufiger Aktionen, die leicht auszuführen sind - selbst wenn diese Aktionen den eigenen Werten nicht ganz gerecht werden.

Was also tun?

Es hilft, wenn wir uns bei der Bitte um einen Ratschlag der geistigen Distanz einer Handlung bewusst sind. In unserem Leben ist es von Zeit zu Zeit wichtig, bewusst einen Schritt zurückzutreten und abstrakt darüber nachzudenken, ob unsere Handlungen unseren eigenen Werten entsprechen. Andernfalls laufen wir Gefahr, viel zu wenig Augenmerk auf das zu richten, was uns wirklich wichtig ist.

Gleichzeitig sollten wir aufpassen, den Fokus nicht zu stark auf das Abstrakte zu richten. Es ist nahezu unmöglich, unseren eigenen hohen Ansprüchen jederzeit gerecht zu werden. Und letztlich ist es ja auch wichtig, zu handeln und Dinge auch zu erledigen.