Warum Selbstreflexion so nicht funktioniert - und wie es stattdessen geht

Wenn wir uns selbst besser kennen und eine klare Vorstellung von unseren Werten haben, sind wir selbstbewusster und kreativer – das zeigen auch etliche Untersuchungen. Aber nicht nur das: Wir treffen bessere Entscheidungen, erleben mehr Wohlbefinden und Glück, bauen stärkere Beziehungen auf und kommunizieren effektiver. Selbst die Wahrscheinlichkeit, dass wir lügen oder betrügen sinkt. Wir sind bessere Kollegen, die auch öfters befördert werden. Es gibt also viele gute Gründe, warum Menschen ihr Tun und Denken reflektieren sollten. Und trotzdem tun es die wenigsten, zumindest richtig.

Sich selbst wahrzunehmen und seine schädlichen Einstellungen oder unangemessenen Verhaltensweisen zu ergründen, erfordert viel Zeit, Konzentration und Energie. Sie müssen genau dort hinschauen, wo es wirklich wehtut und wo Sie am liebsten sofort wegsehen würden. Um ein besseres Bild von sich selbst zu bekommen, wird am häufigsten die Methode der Selbstreflexion ausgewählt. Seine Wahrnehmung nach innen zu richten, die eigenen Erfahrungen und Gefühle zu ergründen und zu überlegen, warum man so ist, wie man eben ist, und warum man tut, was man tut, hilft dabei, die eigenen Gefühle besser einzuordnen, Überzeugungen zu hinterfragen und Muster, die einen im Leben aufhalten, aufzulösen.

Ich bin ein großer Freund der Selbstreflexion. Umso überraschter war ich, als ich über eine Studie stolperte, die zeigt, dass keine direkte Korrelation zwischen Selbstreflexion und Selbstwahrnehmung existiert. Das bedeutet, dass das Nachdenken über sich selbst, über die eigenen Handlungen und Werte, nicht unbedingt mit dem, wie man sich selbst wahrnimmt, übereinstimmt. Nicht selten ist sogar das Gegenteil der Fall: Je mehr Zeit Menschen mit Selbstreflexion verbringen, desto schlechter ist ihre Selbstwahrnehmung. Die Teilnehmenden in der Studie neigten im Gegenteil sogar dazu, mehr Ängste zu haben, weniger positive soziale Erfahrungen zu leben und generell eine negative Einstellung zu sich selbst zu haben.

Warum ist das nun wichtig? Nun, die Realität der modernen Arbeitswelt ist, dass es niemand allein schafft. Niemand hat in einem Vakuum Erfolg. Mehr denn je sind wir aufeinander angewiesen, denn für den Erfolg brauchen wir die Unterstützung und Kooperation anderer. Wenn wir nicht über unser Leben nachdenken, kommt uns die Perspektive abhanden. Wir verfangen uns in Dingen, die nicht wichtig sind, und verlieren oft die wichtigsten Dinge aus den Augen. Wenn Sie sich nicht bewusst sind, welche Stärken und Schwächen Sie haben, sind all die Bemühungen, besser zu kommunizieren, bessere Beziehungen aufzubauen und zu lernen, vergebens. Darüber hinaus kann falsch angewandte Selbstreflexion ungewollt unproduktive Emotionen hervorrufen, die Sie überwältigen und dadurch positives Handeln behindern.

Das Problem an der ganzen Sache ist, dass die meisten Menschen bei der Selbstreflexion die falsche Frage stellen. Wenn Menschen die eigenen Gedanken, Verhaltensweisen und Gefühle genauer ergründen wollen, stellen sie häufig die Frage nach dem Warum („Warum habe ich mich so verhalten?“ „Warum ist mir das so wichtig?“) und suchen nach den einfachsten und plausibelsten Antworten. Sobald diese gefunden ist, hören wir auf zu suchen.

Nun neigt der Mensch dazu, nach Gründen zu greifen, die vor allem die bestehenden Überzeugungen bestätigen. So führen wir uns selbst in die Irre, weil das Gehirn zur ersten verfügbaren Erklärung greift. Die Frage nach dem Warum führt allerdings in die Vergangenheit, sie sucht nach der Wurzel. Das wiederum lässt Pessimismus und Ängste ansteigen, weil der Mensch sich dadurch unbewusst den Problemen zuwendet und nicht mehr in Lösungen denkt. Statt produktive Wege aus dem Dilemma zu suchen, versteifen wir uns so auf Schuldzuweisungen und verhaften in der Vergangenheit.

Wenn die Frage nach dem Warum also nicht so hilfreich ist, was sollen Sie stattdessen fragen? Diese Frage beantwortete folgende Studie: Den Probanden wurde mitgeteilt, dass zwei unterschiedliche Personen ihre Persönlichkeit anhand eines Tests zu den Themen „Geselligkeit, Sympathie und Interessantheit“, den sie selbst zu Beginn des Semesters ausgefüllt haben, bewerten würden. Zuvor sollten die Probanden ihr Handeln aber selbst einstufen. Eine Gruppe sollte konkret nachdenken, warum sie die Art von Person waren, die sie nun mal waren, während die anderen Teilnehmenden darüber grübeln sollten, was für eine Art von Mensch sie generell wären. Das Ergebnis war eindeutig: Die Personen, die nach dem Warum fragten, waren resistent gegen negative Beurteilungen. Die Forscher glauben, dass diese Gruppe die Zeit genutzt hat, um vor allem die negativen zu rechtfertigen. Die Gruppe, die nach dem Was fragten, war hingegen offen für neue Informationen, da sie hofften, sich so selbst besser zu verstehen.

Wenn es darum geht, ein inneres Bild zu entwickeln, ist also die bessere Frage, die nach dem Was. Warum-Fragen führen uns zu unseren Grenzen, helfen uns Ursachen zu verstehen und zeigen die Vergangenheit auf. Das ist vor allem dann wichtig, wenn es um geschäftliche Belange geht. Die Frage nach dem Was hingegen weckt die eigene Neugier und unterstützt auf diese Weise, eine bessere Zukunft zu gestalten.

Versuchen Sie es doch gleich selbst: Wenn Sie gerade schlechte Laune haben, fragen Sie sich, warum Sie schlecht gelaunt sind. Sie könnten beispielsweise zu der Antwort kommen: Weil heute Montag ist und die ganze Arbeitswoche noch vor mir liegt. Wenn Sie aber sich fragen "Was fühle ich gerade?" werden Sie vielleicht feststellen, dass Sie sich gerade müde, hungrig oder gelangweilt fühlen. Dieses Wissen öffnet Ihnen neue Wege, um so aus den negativen Emotionen zu finden.

Keine Frage, es ist nicht immer einfach, sich und sein Handeln zu hinterfragen. Die meisten Menschen haben Angst davor, weil sie sich dadurch verletzlich fühlen. Aber richtig gemacht ist Selbstreflexion eine kraftvolle und befreiende Erfahrung, die die Unebenheiten des Lebens ausgleicht, das eigene Glück steigert und Sie dabei unterstützt, der einzigartige Mensch zu werden, der Sie sein möchten. Und egal wie viel Fortschritt wir im Leben machen, gibt es immer noch etwas zu lernen. Das ist eines der Dinge, die diese Reise letztlich so spannend macht.