Neulich erfuhr ich durch Zufall, dass eine meiner besten Freundinnen eine zusätzliche Karte für eine moderne Inszenierung eines Theaterstücks hatte. Sie lud statt mir einen gemeinsamen Bekannten ein. Verletzt von dieser Kleinigkeit, dachte ich sofort, dass ich vielleicht etwas getan hätte, das meine Freundin verärgert hat. So sehr ich darüber nachdachte, fand ich allerdings keine Erklärung. Also fragte ich mich, ob mich meine Freundin als langweilige Begleitung empfand, mit der es einfach keinen Spaß macht, auszugehen. Ich beschäftigte mich stundenlang damit und sprach die Sache schließlich an. Sie sah mich erstaunt an, lachte dann und sagte, dass sie sogar darüber nachgedacht hatte, mich zu fragen. Aber sie wusste, dass ich keine modernen Inszenierungen mag und nur aus Pflichtgefühl mitkommen würde, deswegen hat sie jemand anderen gefragt. Sofort schämte ich mich, weil ich nicht einmal an die wahrscheinlichste Erklärung gedacht habe.
Wenn wir Dinge persönlich nehmen, reagiert in erster Linie unser Ego. Unser Ego will immer von allen bestätigt und anerkannt werden. Es ist ein sozialer Perfektionist, der den Gedanken nicht erträgt, dass andere Fehler sehen könnten. Daher machen wir uns ständig Gedanken darüber, was andere über uns denken könnten.
In der Psychologie wird die Neigung, Dinge persönlich zu nehmen, Personalisierung genannt. Bei dieser kognitiven Verzerrung glaubt man, selbst die Ursache eines negativen Ereignisses zu sein, obwohl man wenig oder gar keine Belege dafür hat. Personalisierung kann nach jedem unerwünschten Ereignis entstehen, aber meistens passiert es dann, wenn andere Personen beteiligt sind.
Die Personalisierung ist ein gut erforschtes Phänomen in der Kognitions- und Sozialpsychologie. Sie gehört zu den sogenannten kognitiven Verzerrungen, die unser Denken systematisch in eine bestimmte Richtung lenken. Der Begriff geht auf die Arbeiten von Aaron T. Beck zurück, dem Begründer der kognitiven Verhaltenstherapie. Beck identifizierte die Personalisierung als eine der Hauptverzerrungen, die bei Depressionen und Angststörungen eine Rolle spielen.
Ein zentraler Mechanismus hinter der Personalisierung ist die Attributionsverzerrung. Menschen haben die Tendenz, Ereignisse entweder intern (auf sich selbst bezogen) oder extern (auf äußere Umstände) zu attribuieren. Personen, die zur Personalisierung neigen, schreiben negative Ereignisse eher sich selbst zu, während positive Erlebnisse als zufällig oder durch äußere Faktoren verursacht wahrgenommen werden. Diese negativen Attributionsstile wurden von Martin Seligman in seiner Forschung zur erlernten Hilflosigkeit intensiv untersucht.
Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass die Aktivierung der Amygdala – ein Hirnareal, das an der Verarbeitung von Emotionen beteiligt ist – bei Menschen mit hoher Tendenz zur Personalisierung verstärkt auftritt. Das bedeutet, dass sie soziale Situationen emotional intensiver erleben und stärker auf vermeintliche Zurückweisung reagieren. Gleichzeitig zeigen Untersuchungen mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT), dass der mediale präfrontale Kortex, der für die Selbstreflexion zuständig ist, bei diesen Personen besonders aktiv ist. Das erklärt, warum sie oft über soziale Situationen nachgrübeln und sich wiederholt fragen, was sie falsch gemacht haben könnten.
Ein weiteres relevantes Konzept ist die theory of mind – die Fähigkeit, sich in die Gedanken und Gefühle anderer hineinzuversetzen. Menschen mit hoher Personalisierungstendenz überschätzen häufig ihre Fähigkeit, die Gedanken anderer korrekt zu interpretieren, und unterliegen dabei dem sogenannten Illusion-of-Transparency-Effekt: Sie glauben, dass andere ihre Emotionen und Unsicherheiten viel stärker wahrnehmen, als es tatsächlich der Fall ist.
Die Probleme der Personalisierung
Es gibt mehrere Probleme bei der Personalisierung: Zum einen wird dieser Denkfehler vor allem von Gefühlen, Erfahrungen, Mehrdeutigkeiten und auffällig negativen Informationen - und nicht von Objektivität - getrieben. Wenn Sie auf diese voreingenommenen Überzeugungen beharren, beschränken Sie Ihre emotionalen Optionen. Sie sind dann zum Beispiel traurig über einen Fehler, besorgt darüber, dass Sie sozialen Herausforderungen nicht gewachsen sind, oder Sie ärgern sich über andere, weil diese Sie nicht respektvoller behandeln. Wenn Sie diese Gedanken und Gefühle als Tatsachen annehmen, wird es schwierig, sie aufzugeben, sie zu vermeiden oder sich ihnen bewusst zu stellen. Die Tendenz, Dinge persönlich zu nehmen, schränkt aber nicht nur Ihre emotionalen Verhaltensmöglichkeiten ein, sondern sie erhöht auch die Wahrscheinlichkeit, dass Sie viel Stress erleben werden.
Soziale Situationen sind meistens unklar, nicht selbsterklärend und führen zu Unsicherheiten. Daher haben Menschen einen natürlichen Drang, sie zu verstehen. Wenn Sie nicht genau begreifen, warum eine Person auf eine bestimmte Weise handelt, springt im Regelfall das Selbstbewusstsein ein, klärt die Situation und korrigiert sie gegebenenfalls. Kommt Personalisierung allerdings ins Spiel, tauchen lang einstudierte Annahmen automatisch auf – auch wenn Sie keinerlei Beweis dafür haben, dass Ihre Vorstellungen in diesem Fall zutreffen könnten.
Coaching-Strategien zur Überwindung der Personalisierung
Ein hilfreicher Ansatz ist die sogenannte kognitive Umstrukturierung. Dabei trainieren Sie sich bewusst an, alternative Erklärungen für Situationen zu finden, die Sie ursprünglich als Angriff auf Ihre Person gesehen hätten. Dies kann durch gezielte Reflexionsfragen geschehen:
Was wäre eine mögliche neutrale oder positive Interpretation dieser Situation?
Welche Beweise habe ich dafür, dass meine Annahme richtig ist? Gibt es Gegenbeweise?
Wie würde ich die Situation beurteilen, wenn sie einer guten Freundin oder einem guten Freund passieren würde?
Eine wirkungsvolle Übung im Coaching ist die Perspektivwechsel-Technik. Dabei versetzen Sie sich aktiv in die Lage einer anderen Person, um zu erkennen, dass ihr Verhalten oft viel weniger mit Ihnen als mit ihren eigenen Umständen zu tun hat. Fragen Sie sich:
Welche äußeren Faktoren könnten das Verhalten dieser Person beeinflusst haben?
Würde ich dieselbe Reaktion zeigen, wenn ich an ihrer Stelle wäre?
Welche anderen möglichen Erklärungen gibt es für ihr Handeln?
Selbstmitgefühl als Schlüssel
Ein weiterer wichtiger Aspekt im Coaching ist die Entwicklung von Selbstmitgefühl. Oft gehen Menschen, die zur Personalisierung neigen, sehr hart mit sich selbst ins Gericht. Sie verurteilen sich für vermeintliche Fehler oder interpretieren das Verhalten anderer als Bestätigung für ihre eigenen Unsicherheiten. Hier hilft es, sich bewusst eine mitfühlende Haltung gegenüber sich selbst einzuüben:
Wie würde ich mit einer guten Freundin sprechen, die in meiner Situation ist?
Was kann ich mir selbst sagen, um mich zu beruhigen und eine realistischere Perspektive einzunehmen?
Welche Strategien helfen mir, emotionalen Abstand zu gewinnen und nicht in Grübeleien zu verfallen?
Soziale Interaktionen enthalten naturgemäß ein gewisses Maß an Mehrdeutigkeit oder Ungewissheit. Sie können weder kontrollieren, was andere denken, noch deren Gedanken lesen – aber Sie können immer nachfragen, Pläne für Veränderungen schmieden und lernen, die Unsicherheit zu tolerieren. Anstatt die Aufmerksamkeit und Energie auf Ihre eigenen Einschränkungen oder Bedenken hinsichtlich der Gedanken anderer zu lenken, richten Sie Ihren Fokus auf Ihr Verhalten und darauf, wie Sie reagieren möchten, um zu der Person zu werden, die Sie sein möchten.