Die Vorteile ein Außenseiter zu sein

Zeit meines Lebens habe ich mich immer wie eine Person gefühlt, die irgendwie nirgends richtig dazugehört. Während es Momente gab, in denen ich dachte, Zugehörigkeit zu einer Gruppe sei das, was ich wollte, erkenne ich jetzt, dass dieses Außenstehende das war, das mich letztlich zu der Person gemacht hat, die ich heute bin. Ich bin dankbar, dass ich in den Gruppen, in denen ich am Rande stand, nur der Beobachter war. Denn ein Teil des Preises für die Zugehörigkeit besteht darin, das zu tun, was einem als Mitglied gesagt oder was von den anderen erwartet wird.

Das Gefühl, ein Außenstehender zu sein, bedeutet nicht, dass mit Ihnen etwas nicht stimmt. Ein Außenseiter ist kein Fremder, der keine Freunde hat. Vielmehr ist es jemand, der etablierte Werte und Perspektiven in Frage stellt. In meiner Arbeit ist nichts so wichtig, wie die Welt von außen zu betrachten. Während ein Insider die akzeptierten Standards übernimmt und lebt, ändert ein Außenstehender diese.

Ein Außenstehender zu sein kann allerdings sehr schwierig sein und auch einsam machen, besonders wenn alle Fremden um einen herum sich zu kennen und zu verstehen scheinen. Manches Mal führt das zu einem Gefühl, dass diese Entscheidung schlecht war und dass die erhofften Vorteile viel geringer sind als die Kosten, die Sie tragen müssen.

Teil einer Gruppe zu sein ist evolutionär gesehen ein wichtiger Überlebensmechanismus. Als soziale Wesen brauchen wir dieses Gemeinschaftsgefühl, um uns sicher zu fühlen. Das Gefühl, ein Außenstehender zu sein, aktiviert Studien nach dieselben Bereiche des Gehirns wie körperlicher Schmerz.

Viele Philosophen und auch Psychologen haben in der Vergangenheit sogar davon abgeraten, zu reisen und sich so selbst in den Status eines Außenseiters zu bringen. So hat Platon beispielsweise argumentiert, dass Menschen vor dem 40. Lebensjahr nicht ins Ausland reisen sollten. Wenn sie schon “raus” wollen, dann sollten sie das auf einen Besuch auf Hafengebiete von Städten beschränken, um nicht zu viel Kontakt mit fremden Kulturen zu haben. Er behauptete, dass Akkulturation - also die psychologische Veränderung, die auftritt, wenn sich eine Person in eine unbekannte Kultur einfügt - das Selbstbewusstsein nachhaltig schädigen würde.

Bei all meiner Verehrung für Platon, in diesem Punkt hat er sich meiner Meinung nach ganz immens geirrt. Zwar leiden Studenten, die sich für ein Auslandssemester entschieden haben, Studien zufolge kurzfristig unter dem Gefühl der Entwurzelung. Aber auf lange Sicht steigt ihre Lebenszufriedenheit, ihr Wohlbefinden und sie können ihre allgemeine emotionale Stärke fördern.

Wenn Sie also selbst ins Ausland ziehen oder sonst irgendwie in der Rolle des Außenstehenden leben, haben Sie mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit keinen Fehler begangen. Im Gegenteil: Menschen, die zwischen Orten und Kulturen hin- und herwechseln, entwickeln mehr Stärke, Flexibilität und Resilienz. Bewusst in die Rolle des Außenseiters zu treten kann eine der besten Ideen sein, der Sie jemals nachgehen werden – auch wenn es am Anfang vielleicht Schmerz verursacht.

Eine Untersuchung ergab, dass das Aufwachsen in mindestens zwei Kulturen im Erwachsenenalter im Durchschnitt zu einer größeren psychischen und emotionalen Gesundheit und einer höheren sozialen Kompetenz führt. Noch dazu schützt Akkulturation vor Depressionen, Angstzuständen und psychischen Problemen. Darüber hinaus sind Kinder, die als Außenstehende aufwachsen im Normalfall nicht unsicher, sondern entwickeln vielmehr eine flexible, kulturelle Identitäten, bei der sie genauso wie zwischen Sprachen wechseln können. Im Grunde ist es eine Art Superkraft in dieser globalisierten, sich schnell verändernden Welt.

Sie müssen nicht an einen neuen Ort ziehen, um zu spüren, wie sich ein Außenseiter fühlt. Hier sind ein paar Ideen, wie Sie ein Außenseiter-Ethos in Ihr Leben integrieren können:

Verstehen und akzeptieren Sie, wer Sie sind

Vergessen Sie den Wunsch, jemand anderes zu sein, der Sie nicht sind – nicht zuletzt, weil es ohnehin unmöglich ist. Entwickeln Sie stattdessen Einsicht und Mitgefühl für sich selbst. Verstehen Sie die frühe Konditionierung, die dazu geführt hat, warum Sie sich in Ihrer Haut unwohl fühlen und versuchen Sie anzunehmen, wer Sie jetzt sind. Vergessen Sie nicht, dass diese unangenehme Reibung, die während der Integration entsteht, Sie stärker und widerstandsfähiger macht.

Finden Sie regelmäßige Wege zum Ausbrechen aus der Konformität

Angesichts der Vorteile bikultureller Erfahrungen sollten Sie Ihren Außenseiterstatus nicht dem Zufall überlassen. Finden Sie Möglichkeiten, verschiedene Situationen immer mal wieder von außen zu betrachten. Wenn Sie die Möglichkeit haben, legen Sie ein Sabbatical ein oder ziehen Sie für einige Zeit an einen völlig neuen Ort. Die meisten Menschen haben diesen Luxus nicht, aber Sie können trotzdem etwas Ähnliches tun, indem Sie alle paar Jahre den Job oder Städte wechseln. Wenn Ihnen all das zu drastisch vorkommt, beginnen Sie damit, Ihre gewohnten Aufenthaltsorte zu wechseln: Suchen Sie neue Lokale auf, durchstreifen Sie neue Spazierwege oder begegnen Sie neuen Menschen. Verlassen Sie Ihre Komfortzonen.

Erkennen Sie die Vorteile

Außenstehende sind tendenziell kreativer und verspüren weniger stark ein Bedürfnis, sich anzupassen. Bei der Arbeit bemerken sie oft Lösungen, die alle anderen übersehen haben. Denken Sie auch daran, dass die Tatsache, dass Sie in einer Gruppe ein Außenseiter sind, Sie niemals davon abhalten kann, in einem Einzelgespräch tiefe, bedeutungsvolle Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen.

Das Gefühl, ein Außenstehender zu sein, kann mit erheblichem Ballast verbunden sein, vor allem, wenn wir das Gefühl aus unseren prägenden Jahren mit uns herumtragen. In Wahrheit ist es aber ein großes Geschenk. Wenn ein Mensch die Fähigkeit hat, anders als die Norm zu denken, und dies auch noch mit einer gesunden Portion Leidenschaft verbindet, kann dieser unabhängige Geist mehr Autonomie, Kreativität und Raum zum Entfalten in die Arbeitswelt und ins Leben bringen. Und das ist für uns alle wichtig.

Der einzige Weg, das zu schaffen, liegt in der Erkenntnis, dass Anderssein vor allem bedeutet, anders zu denken. Es erfordert Mut, Respekt zu zeigen. Wenn man auf der anderen Seite nichts Gutes sieht, ist ein Dialog unmöglich. Ohne einen Dialog werden wir immer wieder dieselben Fehler machen, weil wir nichts Neues lernen. Das Einzige, was wir alle gemeinsam haben, ist das Menschsein. Wir sind alle verschieden. Wir sind alle schrullig und einzigartig – und das macht uns alle gemeinsam wunderbar menschlich.