Die Macht des Neins: Warum es so schwer ist "nein" zu sagen und wie Sie es schaffen

Vor einiger Zeit raubten mir die Gedanken an die Aufgaben der kommenden Wochen den Schlaf: diverse Abgabetermine, neue Projektstarts, Meetings in Hülle und Fülle. Um all das zu schaffen, musste ich meine bereits spärliche Freizeit noch weiter beschränken. Das bedeutete keine Spaziergänge, kein Ausgehen mit meinem Mann, keine Zeit, um ein Buch zu lesen. Ich fühlte mich schlecht und fragte mich, wie es dazu gekommen ist, dass ich ständig “Ja” sagte. Mir wurde klar, dass ich Angst davor hatte, “Nein” zu sagen. Mir ist es ein großes Bedürfnis, anderen zu helfen, für sie da zu sein und sie beim Wachstum zu unterstützen. Ich hatte Angst, dass ich jedes Mal, wenn ich “Nein” sage, jemanden enttäuschen, seine Gefühle verletzen oder unhöflich erscheinen würde.

Ich kenne nur wenige Menschen, die gerne als schwierig gesehen oder gar als unhöflich gelten möchten. Wenn eine Person einen Gefallen von Ihnen erfragt und Sie sagen “Nein”, kann das zu dem Gefühl führen, dass Sie jemanden damit vor dem Kopf gestoßen hätten. Mir wurde beispielsweise von meinen Eltern beigebracht, dass es sehr unhöflich ist, anderen Menschen eine Bitte auszuschlagen. Hinzu kommt, dass Menschen sich generell mehr auf negative Ereignisse im Leben konzentrieren als auf positive. Deswegen versuchen wir Dinge zu vermeiden, die „falsch“ sind oder die schief gehen können. Der Verstand neigt dazu, sich eher an die negativen Dinge zu erinnern, die passieren, als an die positiven Dinge – und das macht es im Grunde so viel schwieriger, nein zu sagen, auch wenn es für uns persönlich wahrscheinlich der bessere Weg wäre.

Nun ist es aber so, dass unsere Energie endlich ist. Wir können einfach nicht zu jedem und allem ja sagen und alles entsprechend gut erledigen. Wenn Sie sich zu viele oder die falschen Dinge vornehmen, verschwenden Sie Zeit und Energie. Und Sie lenken sich von dem ab, was für Sie persönlich wirklich wichtig ist. Es ist daher notwendig zu lernen, wann und wie Sie sowohl Nein als auch Ja sagen. Ein überlegtes Nein schützt Sie. Das richtige Ja ermöglicht es Ihnen, anderen zu helfen, etwas zu bewegen, erfolgreich zusammenzuarbeiten und Ihren eigenen Einfluss zu vergrößern. Denn alles, wozu Sie in diesem Leben Ja sagen, bedeutet, dass Sie zu etwas anderem Nein sagen.

Als die Pandemie das Leben aller Menschen in so viele Bereiche des Lebens radikal neu ausrichtete, wurde ich an die sogenannten „Opportunitätskosten“ erinnert. Ich hielt mich in der Vergangenheit für sehr produktiv und bis dahin hatte ich nicht den Eindruck, dass ich trotz der vielen Projekte und Reisen schlechte Arbeit leistete oder irgendeinen Bereich in meinem Leben vernachlässigte. Schließlich machte ich meine Beratungen, ich schrieb meine Bücher, ich verbrachte Zeit in der Natur, ich beantwortete meine Mails etc. Als aber plötzlich so viel von all dem wegfiel, erkannte ich, was mich die ganze Geschäftigkeit tatsächlich kostete.

Warum fällt es uns so schwer, diese Kosten in unseren Leben zu sehen? Trägheit, zum einen - Ego, zum anderen. Wir identifizieren uns damit, beschäftigt zu sein, und wir denken, beschäftigt zu sein wird uns zu unserer besten Arbeit führen. Ich glaube aber, dass das daran liegt, dass wir für die langfristigen Kosten blind sind.

Durch das Wegfallen der Reisen und einiger Projekte wurde ich plötzlich ganz anders kreativ und viel produktiver als je zuvor. Das hatte einen massiven Einfluss auf meine Beziehung zu meinem Mann und auf meine gesamte Arbeit. Ich erkannte, dass die Kosten die ganze Zeit da gewesen waren, aber dass ich sie nicht sehen wollte. Und wenn es sich nicht so anfühlte, als würde meine Arbeit leiden, dann nur, weil stattdessen andere Teile meines Lebens darunter litten. All diese Meetings, zu denen ich nicht wirklich gehen musste, die Interviews und Presseanfragen, die ich gemacht habe, weil sie mir schmeichelten, die E-Mails, die mich fesselten, implizierten mein Nein in anderen Bereichen, die mich persönlich mehr erfüllt hätten.

Die Entscheidung, zu dem Meeting zu gehen, bedeutet, eine Stunde des Lesens aufzugeben. Die Entscheidung weiter zu diskutieren und zu wissen, dass es nichts bringt, bedeutet, nicht auf das Fahrrad zu steigen und sich etwas zu bewegen. Die Entscheidung, lange aufzubleiben, ist ein “Nein” zu einem produktiven frühen Morgen.

Hier ein paar Tipps, mit denen ich mir helfe, öfters nein zu sagen:

  • Oft tritt das, wovor wir uns fürchten, nie ein. Wenn wir also schnell auf den Punkt kommen und ein klares Nein haben, haben alle Beteiligten die Klarheit, um zu etwas anderem überzugehen. Die meisten Menschen schätzen Klarheit. Ein “Nein” zu hören, gibt ihnen diese Klarheit, sodass sie ihr “Ja” woanders finden oder ein Gespräch darüber eröffnen können, was sonst noch möglich sein könnte.

  • Seien Sie ehrlich zu sich selbst. Wir sind oft deswegen nicht ehrlich zu anderen, weil wir nicht ehrlich zu uns selbst sind? Wie können wir also transparent sein, wenn wir nicht einmal ehrlich zu uns selbst sind? Es macht eine Situation, in der wir "nein" sagen müssen, noch schwieriger.

  • Finden Sie keine Ausreden und lügen Sie nicht. Lügen führt meistens zu unangenehmen Schuldgefühlen – und das ist ein Gefühl, das Sie letztlich vermeiden wollen.

  • Denken Sie daran, dass es besser ist, jetzt "nein" zu sagen, als später nachtragend zu sein.

  • Zögern Sie das Nein nicht hinaus. Wenn Sie sagen, dass Sie noch darüber nachdenken müssen, obwohl Sie eigentlich nur nicht im Moment "nein" sagen wollen, verlängert dies die Situation nur und führt zu noch mehr Stress.

  • Normalisieren Sie das Nein. Machen Sie es zu einem normalen Teil Ihres Lebens – genauso wie das Ja-Sagen. Das macht es weniger beängstigend, ungewohnt oder überwältigend.

Worüber die Leute oft nicht sprechen, ist das, was wir erreichen wollen, wenn wir “Nein” sagen. Was wäre, wenn “Nein” sagen zu einer Stärke wird? Ich glaube, wir sollten öfters darüber nachdenken, worum wir wirklich gebeten werden und ob es sich auszahlt, “Ja” dazu zu sagen. Denn die Antwort ist ein Stück Ihres kostbaren Lebens, das Sie nie wieder zurückbekommen - im Austausch für etwas, das Sie vielleicht gar nicht wollen.

Alles, wozu Sie “Nein” sagen, bedeutet, dass Sie zu etwas anderem “Ja” sagen: Ja, zu Ihrer mentalen und physischen Gesundheit. Ja, zu den Menschen, die Sie lieben. Ja, zu einem Moment der Stille in einem lauten Leben. Ja, zu sich selbst.