Das Enten-Syndrom bei Führungskräften

Vor allem während der Pandemie habe ich mich viel im Rahmen von persönlichen Führungskräfte-Coachings mit den Themen Selbstvertrauen und Selbstwert beschäftigt: Wie man Selbstvertrauen bekommt, wie man es aufbaut und wie man es behält. Die meisten meiner Klienten leben sehr ähnliche Muster und haben ähnliche Gedanken wie „Egal, was ich mache, es ist nie genug.“ oder „Ich habe das Gefühl gegen Windmühlen zu kämpfen.“ oder „Ich traue mich nicht nein zu sagen, weil ich so viel verlieren könnte”.

Jeder, der schon einmal versucht hat, ein berufliches oder persönliches Ziel zu erreichen, kennt die Stimme des eigenen inneren Kritikers. Er flüstert Ihnen Dinge zu wie „Das schaffst du nie“, „Das ist eine wirklich dumme Idee“ oder „Du bist einfach nicht gut genug“. Meistens versuchen wir diese Bedenken einfach wegzuschieben, weiterzuarbeiten und es einfach besser zu machen. Aber die Stimme wird im besten Fall nur kurzfristig leiser. Sie flüstert Ihnen weiterhin zu, dass Sie alles verlieren könnten – den Status, die Vorteile oder das Einkommen – wenn Sie damit aufhören, sich anzustrengen.

Ehrlicherweise muss ich sagen, dass darin auch ein Funke Wahres steckt: Wenn Sie aufhören an sich zu arbeiten und einfach im alten Trott weitermachen, fallen Sie schnell blinden Flecken zum Opfer. Es ist auch nicht falsch, selbstbewusst und ehrgeizig zu sein. Die Probleme treten aber dann auf, wenn wir unser persönliches Glück alleine davon abhängig machen.

Das Selbstwertgefühl entwickelt sich aus Ihren positiven und negativen Gefühlen, die Sie über sich selbst haben, und aus dem, was Sie denken, wie andere Personen Sie einschätzen. Damit Ihr Selbstwertgefühl hoch bleibt, müssen Sie ständig Vergleiche zu anderen Personen ziehen. Diese Vergleiche lösen allerdings Stress aus, denn jeder Fehler oder Makel könnte als Misserfolg gedeutet werden.

Nun motivieren sich einige Menschen, selbstbewusster zu agieren, indem sie sich selbst möglichst hart und streng beurteilen. Nur: Je höher Ihre Maßstäbe sind, desto kritischer werden Ihre Selbstgespräche. In der Psychologie gibt es dazu den Begriff des „Enten-Syndroms“: Von außen scheint es so, als würden Sie friedlich auf dem Wasser schwimmen, während Ihre Füße jede Menge Anschläge unternehmen, um diesen Anschein zu erzeugen und aufrechtzuerhalten. Ihre Erfolge sehen im Außen gut aus, aber im Inneren herrscht jede Menge Aufruhr. Negative Selbstgespräche sind einfach kein guter Weg, sich selbst zu motivieren.

Es gibt aber einen besseren Weg. Anstatt sich selbst für verschiedene Unzulänglichkeiten zu verurteilen und zu kritisieren, versuchen Sie es mal mit Selbstmitgefühl. Für sich selbst Mitgefühl aufzubauen und mitfühlend zu agieren bedeutet, sich freundlich und verständnisvoll zu behandeln, wenn Sie mit Fehlern konfrontiert werden.

Sie haben mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit in letzter Zeit für eine Person Mitgefühl empfunden. Dabei haben Sie vermutlich ihm oder ihr gut zugehört und dabei anerkannt, dass das Leben manches Mal einfach chaotisch und voller Höhen und Tiefen sein kann. Diese positive Wertschätzung können Sie auch sich selbst gegenüber anwenden: Beim Selbstmitgefühl geht es vor allem darum, dass Sie Verständnis dafür haben, an welcher Stelle des Lebens Sie sich gerade befinden und dass Sie die verschiedenen Emotionen und Gedanken, die dazu gehören, einfach annehmen - ohne sie zu bewerten. Es geht auch darum, zu erkennen, dass Ihre innere Stimme es im Grunde gut mit Ihnen meint und Sie nicht bestrafen, sondern eigentlich beschützen will.

Das größte Missverständnis über Selbstmitgefühl ist, dass es die Motivation untergräbt. Viele Menschen befürchten, dass sie faul werden, wenn sie freundlicher und sanfter zu sich selbst sind. Sie fürchten, ihren Antrieb zu verlieren. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Selbstmitgefühl ist vielmehr stark mit emotionaler Belastbarkeit verbunden. Menschen mit einem hohen Maß an Selbstmitgefühl haben weniger Angst vor dem Scheitern, und wenn sie Rückschläge erleiden, versuchen sie es noch einmal.

Es gibt ein paar Möglichkeiten, wie Sie Ihr Selbstmitgefühl stärken können:

Achten Sie in dieser Woche bewusst darauf, welche Wörter Sie in Gesprächen verwenden. Der erste Schritt, um selber mit sich mitfühlend zu agieren, besteht darin, freundlicher mit sich zu reden. Die meiste Zeit agieren wir nämlich alles andere als selbstmitfühlend. Nehmen Sie zum Beispiel eine kürzliche Situation, in der Sie sich selbst beschimpft haben: Vielleicht haben Sie eine Mail an eine falsche Person versendet oder sich im Datum geirrt. Überlegen Sie, wie sich eine selbstmitfühlende Reaktion von Ihrer unterscheiden würde. Was würden Sie einem Freund sagen, der den gleichen Fehler gemacht hat? Vermutlich würden Sie ihn oder sie trösten und sagen, dass so ein Fehler jedem mal passiert und dass die Welt davon nicht untergehen wird. Oder? Tun Sie dasselbe auch für sich.

Sich in Dankbarkeit zu üben, kann ebenfalls dabei helfen, mehr Selbstmitgefühl aufzubauen. Erinnern Sie sich an vergangene Zeiten, in denen Sie Herausforderungen gemeistert haben. Seien Sie stolz darauf und loben Sie sich. Oder erinnern Sie sich an die einfachen Freuden des Lebens, wie einen sonnigen Tag, Ihre Lieblingsblumen oder die Begrüßung Ihres Hundes. Schenken Sie sich selbst ein Lächeln und spüren Sie die Wärme in sich aufsteigen.

Die Entwicklung von Selbstmitgefühl dauert eine gewisse Zeit und erfordert vor allem Übung. Vergessen Sie dabei nicht, dass Sie nur ein Mensch sind. Seien Sie deswegen während des gesamten Prozesses geduldig und verständnisvoll mit sich selbst.

Letztendlich geht es beim Selbstmitgefühl darum, zu erkennen, was es bedeutet, Mensch zu sein. Stress, Enttäuschung, Verlust und Schmerz sind Teil der menschlichen Reise. Wenn wir nicht in der Lage sind, freundlich zu uns selbst zu sein, dann werden wir es unnötig schwer in diesem Leben haben. Denn Mensch zu sein bedeutet, unvollkommen zu sein und Fehler zu machen. Versuchen und erkennen Sie, dass Sie immer Ihr Bestes geben – mit dem, was Sie sind, mit dem, was Sie haben, und mit den Ressourcen, die Ihnen auf dieser Reise mitgegeben wurden.